Lehrende: Alan Ruben van Keeken
Veranstaltungsart:
Seminar
Orga-Einheit: 03-Musikwissenschaft
Anzeige im Stundenplan:
Fach:
Anrechenbar für:
Semesterwochenstunden:
2
Unterrichtssprache:
Deutsch
Offizielle Kursbeschreibung:
Populäre Musik wird häufig mit "Aushäusigkeit"(Theweleit) assoziiert, also der Flucht junger Menschen vor den Eltern und dem von ihnen beherrschten häuslichen Sphäre. Rock, Pop, Swing, Techno und selbst Schlager fand und findet vor allem in Kneipen, Clubs und Konzerten statt, wo sie Körper in Bewegung bringen und Identitäten hervorbringen, die gerade nicht familiär oder häuslich orientiert sind. Doch populäre Musik hat auch einen Platz im häuslichen Bereich, wie nicht erst die Studie von Bodo Mrozek (2019) belegt, der die Bedeutung der Zentralheizung für die unbeobachteten Poppraktiken im Kinder- bzw. Jugendzimmer in den 1960er Jahren hervorhebt. Bereits in der (klein)bürgerlichen Hausmusik (Busch-Salmen 1996) wurde populäres Material im Kreis der Familie oder des - in gehobenen Kreisen - Salon aufgeführt (Widmaier / Ballstaedt 1989). Auch das Lauschen von Platten, das Mitschneiden der Songs aus dem Jugendradio (Fruth 2018) oder das Heraushören und Mitspielen der Power-Chords auf einer gebrauchten Konzertgitarre fanden vor allem Zuhause statt (Bennett 2017). Auch nach dem Ende des Kulturmusters der Hausmusik boomten in den 1970er Jahren elektronische Heimorgeln, auf denen Menschen - auf reduzierter Lautstärke oder mit Kopfhörern - den Klangidealen bundesdeutscher Unterhaltungsmusik nacheiferten (van Keeken 2021). Zuletzt führte die Corona-Epidemie zu einem Anstieg neuer häuslicher Musizierpraktiken: In Deutschland und anderswo feierten z. B. Modularsynthesizer eine Renaissance und zogen in Hobbykeller und Wohnzimmer ein. Dies verweist zuletzt auch auf den häuslichen Bereich als historisch wichtigen Markt für Plattenfirmen, Hi-Fi-Hersteller und die Musikinstrumentenindustrie.
Diese Verbindung der Musikpraktiken populärer Musik (vom Hören, Bewegen, Besitzen bis hin zum Spielen und Komponieren) soll im Seminar "POP@Home" aus historischer, soziologischer, wirtschaftlicher und musikalischer Sicht beleuchtet werden. Dabei sollen zunächst zentrale Begriffe wie Haus, Domestizität (Eibach 2022), Alltagskultur, populäre Musik und die Reichweite musikalischer Praktiken diskutiert werden. Im Zentrum stehen dabei auch immer die Probleme wissenschaftlicher Zugriffe auf häufig schlecht dokumentierte Alltagspraktiken und Material Culture. Begleitend sind Besuch in Museen in Halle (Saale), Leipzig und eventuell Markneukrichen geplant.
Literatur:
Bennett, H. Stith: On Becoming a Rock Musician, New York 2017
Busch-Salmen, Gabriele: "Hausmusik". In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Sachteil, hrsg. v. Ludwig Finscher, Kassel 1996, S. 227–234
Eibach, Joachim: Fragile Familien. Ehe und häusliche Lebenswelt in der bürgerlichen Moderne, Berlin/Boston 2022
Fruth, Pia: Record.Play.Stop. Die Ära der Kompaktkassette, Bielefeld 2018
Häsler, Leonie: „Analoge Musikmöbel und digitale Surrogate. Anmerkungen zur Materialität und Gestaltung von Mu-sikmedien im Wohnumfeld“, In: Gehäuse: Mediale Einkapselungen, hrsg. v. Christina Bartz, Timo Kaerlein, Monique Miggelbrink und Christoph Neubert, Paderborn 2017, S. 71–90.
Mrozek, Bodo: Jugend - Pop - Kultur. Eine transnationale Geschichte, Frankfurt am Main 2019
van Keeken, Alan: „Kitschmaschinen? Die Heimorgel zwischen 1950 und 1980 am Beispiel der Modelle der Firma Dr. Böhm.“ In: Das verdächtig Populäre in der Musik. Warum wir mögen, wofür wir uns schämen, hrsg. v. Marina Schwarz, Wiesbaden 2021, S. 57–85
Widmaier, Tobias; Ballstaedt, Andreas: Salonmusik. Stuttgart 1989
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